Blogbeitrag für Mike Geitner zum Thema Muskelfasertypen oder weshalb ein strukturiertes Krafttraining Sinn macht

Einführung

Beim ersten Block meiner Trainerausbildung bei Mike Geitner kam einige Male das Thema „Muskelfasertypen“ zur Sprache. Als Ärztin hat mich das Thema Muskeln schon zu Beginn meines Studiums vor mehr als 15 Jahren immer wieder beschäftigt, und zwar auf den verschiedenensten Ebenen: Sei es in der Histologie (Lehre des Gewebes), Anatomie (Lehre vom Aufbau der Organismen), Biochemie (Lehre von chemischen Vorgängen in Lebewesen), Physiologie (Zusammenwirken und Funktion der Gewebe & Organe im Körper) oder der Biomechanik.

Die drei Muskelgewebetypen

Die Muskulatur ist ein faszinierendes Gewebe und ist ein echtes Wunderwerk der Natur. Die Grundlagen dazu zu verstehen ist nicht ganz einfach. Ich werde versuchen, die Basics verständlich zusammenzufassen, und die daraus ableitbaren Folgerungen für ein effektives und zielgerichtetes (Kraft-)Training darlegen.

Als Muskeln bezeichnet man die kontraktilen Organe des menschlichen Körpers, deren Aufgabe darin besteht, Teile des Körpers aktiv zu bewegen. Sie sind aus Muskelgewebe aufgebaut, einem der vier Grundgewebe des menschlichen Körpers.

Auf der histologischen Ebene unterscheidet man aufgrund des (mikroskopischen) Aufbaus drei Muskelgewebetypen:

  • Quergestreifte Skelettmuskulatur: Fast alle dieser 600 Muskeln können bewusst gesteuert werden
  • Quergestreifte Herzmuskulatur oder Myokard: Diese Muskeln besitzen ein eigenes Schrittmacher- & Reizleitungssystem
  • Glatte Muskulatur als Eingeweidemuskulatur: z.B. in Verdauungsorganen und Gefässen, diese Muskeln werden unwillkürlich über das vegetative Nervensystem gesteuert

Mikroskopische Ansicht der drei Muskelgewebetypen:

SkelettmuskelQuergestreifte Skelettmuskulatur

HerzmuskelQuergestreifte Herzmuskulatur oder Myokard

glatte-MuskulaturGlatte Muskulatur als Eingeweidemuskulatur

Die Skelettmuskulatur

Die für die Bewegung relevante Muskulatur ist die Skelettmuskulatur. Die Skelettmuskulatur ist unterschiedlich zusammengesetzt, weshalb man folgende zwei Haupttypen von Muskelfasern unterscheidet:

  • Typ I Muskelfasern – Diese werden auch als langsam zuckende (engl.: slow twitch ) oder rote Muskelfasertypen bezeichnet und sind besonders ausdauernd
  • Typ II Muskelfasern – Diese werden auch als schnell zuckende (engl.: fast twitch) oder weisse Muskelfasertypen bezeichnet und sind kurzfristig besonders leistungsstark

Die zweite Gruppe wird nochmals in drei Untergruppen unterteilt: I, IIa, IIb und IIx, wobei der Typ IIx zwischen IIa & IIb einzuordnen ist und manchmal auch als Intermediärtyp oder Typ III bezeichnet wird.

Die insgesamt vier Muskelfasertypen und deren Funktionen fasst die folgende Grafik zusammen:

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Tabelle: Die vier Muskelfasertypen und deren Funktionen

Die Muskulatur beim Menschen

Die Muskulatur des Menschen besteht aus einer Zusammensetzung dieser Muskelfasertypen. Diese variiert von Mensch zu Mensch und ist prinzipiell angeboren (genetisch). Der „Durchschnittsmensch“ hat leicht mehr Typ I als Typ II Fasern (meist 55% Typ I und 45% Typ II Fasern). Bei Ausnahmeathleten kann diese Aufteilung in die eine oder andere Richtung abweichen. Somit erscheint es auf den ersten Blick auch logisch, dass die Veranlagung im Wesentlichen bestimmt, ob eine Person sich eher für einen Marathon eignet oder mit Leichtigkeit Gewichte stemmen kann.

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Grafik: Schematische Darstellung der mikroskopischen Ansicht von Muskelquerschnitten verschiedener Läufertypen

Die Zusammensetzung der Muskulatur verändern

Die Frage, ob man die Zusammensetzung der Muskulatur durch Training verändern kann, wird immer wieder diskutiert. Die Antwort ist jein, denn es ist nach den bisherigen Erkenntnissen der Forschung  nur bedingt möglich, einzelne Muskelfasertypen in andere umzuwandeln. Was aber sicher ist: Durch gezieltes Training werden die Muskelfasertypen, mit denen ein Mensch ausgestattet ist, leistungsfähiger. Die Anzahl der schnell und langsam kontrahierenden Muskelfasern an der Muskelquerschnittsfläche ändert sich. Je mehr Fläche z.B. die Typ 2 Muskelfasern am Gesamt-Muskelquerschnitt einnehmen, desto höher die Maximal- und Schnellkraft.

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Bild: Mikroskopische Identifizierung der drei Muskelfasertypen (I, IIa und IIb) aus muskelbioptischen Proben eines älteren ausdauertrainierten (links) und eines jungen sprint-/sprungaffinen Athleten (rechts), modifiziert nach Verdijk et al. 

Trainingsplanung

Somit macht es Sinn, sich bei der Trainingsplanung bewusst zu machen, was man genau trainieren möchte und wozu. Bei Kniebeugen z.B. mit maximalem Gewicht und 6 Wiederholungen werden in erster Linie die Typ IIb Fasern aktiviert. Bei einer Jogging-Runde bei mässigem Tempo wird teilweise die gleiche Muskulatur aktiviert, aber in erster Linie die Typ I Muskelfasern.

Muskelfasertypen bei Pferden

Bei Pferden und auch anderen Säugetieren existieren die gleichen Muskelfasertypen wie beim Menschen, und auch die biochemischen Mechanismen sind vergleichbar. Die anteilsmässige Verteilung der Muskelfasertypen variiert ebenfalls und ist innerhalb der Rassen meist typisch verteilt. Bei dem auf kurze Sprintstrecken spezialisierten Quarterhorse sind 93% der vorhandenen Muskelfasern schnell kontrahierende und damit schneller ermüdende Fasern, 7% langsam kontrahierende und weniger schnell ermüdende. Die Zahl der schnell ermüdenden Fasern ist entsprechend beim Vollblüter deutlich tiefer.

In einem meiner nächsten Beiträge werde ich mich dazu äussern, wie man aufgrund dieser Kenntnisse ein sinnvolles zielgerichtetes Training gestalten kann.